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Paradigma-Wechsel oder: Der Storch bringt keine Kinder
Geschrieben am 02.07.2002 von Admin
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HRSchmidt schreibt: "Hans-Reinhard Schmidt
Liebe G�ste,
Sie kennen das Beispiel vielleicht schon: Wenn die St�rche im Fr�hjahr aus dem S�den zur�ckkommen, steigt in unseren Gefilden die Geburtenrate. Wer nicht weiter nachdenkt, k�nnte glauben, damit sei bewiesen, dass der Storch die Kinder bringt (dieses M�rchen ist tats�chlich so entstanden).
Der Denkfehler dabei ist nat�rlich, dass aus zwei gleichzeitigen Ereignissen geschlossen wird, dass das eine das andere verursacht: man vermutet spontan einen kausalen Zusammenhang.
Sehr oft liegt man f�r die Bed�rfnisse des Alltags damit auch durchaus richtig. Wenn ich einen Topf Wasser auf den Herd stelle und den Herd anschalte, verursacht die Hitze des Herdes selbstverst�ndlich das Kochen des Wassers. Im Beispiel der St�rche werden aber beide Ereignisse gemeinsam durch ein drittes Ereignis bedingt (z.B. klimatische Verh�ltnisse), ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen ihnen besteht �berhaupt nicht (in "Wirklichkeit" verh�lt es sich beim kochenden Wasser nat�rlich auch so, aber das soll uns hier nicht weiter interessieren). Die L�nge der menschlichen gro�en Zehe steht z.B. in einem statistischen Zusammenhang mit dem Intelligenzquotienten, aber einen kausalen Zusammenhang wird wohl niemand behaupten.
Keine Kausalit�ten
Ich erw�hne dies, um verst�ndlich zu machen, dass es sich mit den bisherigen neurobiologischen Forschungsergebnissen bei "ADHS" wahrscheinlich genau so verh�lt: Aus dem gleichzeitigen Vorhandensein von z.B. Ver�nderungen des dopaminergen Hirnsystems und hyperaktivem Verhalten hat man einen kausalen Zusammenhang in dem Sinne behauptet, dass die Hirnfunktionsbesonderheiten die Ursache f�r die Hyperaktivit�t seien, obwohl beides auch durch etwas Drittes bedingt sein k�nnte und zwischen ihnen �berhaupt kein kausaler Zusammenhang bestehen muss. Dass allein schon wissenschaftstheoretisch diese M�glichkeit besteht, sollte eigentlich Aussagen der Art, dass es eine bewiesene Tatsache sei, dass "eine genetisch bedingte Hirnstoffwechselst�rung als Ursache von ADHS" anzusehen ist, verbieten. Schlie�lich ist trotz 60j�hriger Forschung kein eindeutiger biologischer Marker gefunden worden, der eine solche kausale Tatsachenbehauptung rechtfertigen w�rde. Vielmehr k�nnen alle bisher gefunden hirnfunktionellen Besonderheiten als Korrelate (als hirnfunktionelle Repr�sentationen) von etwas "Drittem", n�mlich den Erfahrungen bzw. Lernprozessen (oder, wie H�ther sagen w�rde: Nutzungsbedingungen), die auf das Gehirn eingewirkt haben, betrachtet werden.
Diese These, die durch immer mehr Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften belegt wird, ist so bedeutsam, dass man sie ohne �bertreibung als Paradigmenwechsel in der gegenw�rtigen Wissenschaft vom Menschen bezeichnen kann. Es ist denn auch bezeichnend, wie stark die Abwehrkr�fte sind, die eine solch beunruhigende These weckt, und wie heftig sie geleugnet oder als falsch hingestellt werden muss, damit man nicht dazulernen und umdenken muss. Hatte die "alte" Auffassung doch den Vorteil, einfach und "logisch" zu sein, eine simple Therapie (Methylphenidat) anbieten zu k�nnen, Eltern (allgemein: das psychosoziale Milieu) zu entlasten sowie durch eine Unmenge von Forschungsergebnissen scheinbar eindeutig belegt zu sein.
Und nun kommen Neurowissenschaftler daher und sagen, dass alles nicht ganz so einfach sei, wie man bisher geglaubt hat. Das menschliche Gehirn sei genetisch viel weniger programmatisch fertig und verhaltens-verursachend, sondern zeitlebens "plastisch", also je nach Input ver�nderbar. Dieser Input sei es, auf den es ankomme. Nicht angeborene, genetisch bedingte Besonderheiten des dopaminergen Systems verursachen "ADHS", sondern ein Wechselspiel von (nicht ADHS-spezifischer) genetischer Grundausstattung und anschlie�endem Input, wobei dieser Input viel wichtiger ist, als man bisher f�r m�glich gehalten hat.
Umdenken f�llt schwer
F�r das Verst�ndnis dessen, was gegenw�rtig unter "ADHS" verstanden wird, hat dieser Paradigmenwechsel in der Medizin umw�lzende Bedeutung. Er besagt, dass "ADHS" nicht genetisch bedingt sein muss, dass die bisherigen Forschungsergebnisse "ADHS" nicht belegen m�ssen, dass Psychopharmaka nicht im Vordergrund einer Behandlung stehen m�ssen, dass Umwelteinfl�sse auf die neuropsychologische Entwicklung unserer Kinder einen ausschlaggebenden Einfluss haben, dass Erziehung in Familie, Kindergarten und Schule, Familienpolitik und das gesamte psychosoziale Milieu den Ausschlag daf�r geben, wie sich unsere Kinder (eben auch hirnphysiologisch) entwickeln. Mit den Erkenntnissen neuer wissenschaftlicher Hirnforschung untermauert ist der psychosoziale Umweltfaktor wieder gefragt. Fast hatte die konventionelle Medizin ihn vergessen. Auch beim Konstrukt "ADHS".
Erfahrene Fachleute, die mit "ADHS"zu tun haben, praktizieren diesen Paradigmawechsel in Wirklichkeit seit langem, obwohl sie in der �ffentlichkeit mehr oder weniger den Eindruck erwecken, sie ben�tigten dazu das traditionelle ADHS-Konstrukt. D�pfner setzt bei der Mehrzahl (mindestens 60 Prozent) seiner sicher besonders ausgepr�gten "ADHS"-Kinder keine Psychopharmaka ein, beim Rest nur erg�nzend. Seine ADHS-Therapie ist nichts anderes als Psychotherapie mit gelegentlicher medikament�ser Unterst�tzung. Krowatschek kommt bei ca. bisher 5000 Kindern g�nzlich ohne Medikamente aus. Seine Methode ist eine reine psychotherapeutisch orientierte �bungsmethode, f�r deren Begr�ndung es des ADHS-Konzepts �berhaupt nicht bedarf. Bonney behandelt die Kinder mit einer kommunikationstheoretisch (aber auch anders) begr�ndbaren Psychotherapie ohne jedes Medikament und ohne wirkliche Notwendigkeit des ADHS-Konzepts.
Diese und sicher viele andere Psychotherapeuten erzielen �berzeugende Heilungserfolge, ohne das ADHS-Konstrukt in Wirklichkeit zu ben�tigen. F�r die psychotherapeutische Praxis hat das ADHS-Konzept keinerlei wirkliche Bedeutung. Die Praxis aller g�ngigen Behandlungen l�sst sich v�llig ohne das fragliche ADHS-Konzept begr�nden. Aus meiner eigenen Familienberatungssstelle kenne ich gen�gend Kinder und Familien, bei denen mit klassischen Psychotherapiemethoden (insbesonders Familientherapie) bei "ADHS" (ohne diese Diagnose jemals zu ben�tigen) Heilung erzielt werden konnte.
Seit langem belegte Bedeutung des Umwelteinflusses
Dass dem Faktor "Umwelt" eine herausragende Bedeutung zukommt, haben ja nicht zuletzt Esser u. Schmidt bereits vor einigen Jahren sehr sch�n nachgewiesen. Sie unterschieden die beiden Faktoren Anlage (=Teilleistungsst�rungen TLS) und Umwelt (=widrige famili�re Bedingungen FAI). Ihre L�ngsschnittuntersuchung zeigte sehr sch�n das Zusammenspiel beider Faktoren bei Kindern: Wenn ein 8j�hriges Kind keine TLS und g�nstige FAI hatte, war die Wahrscheinlichkeit zur Ausbildung einer psychischen St�rung etwa 10 Prozent; wenn sowohl TLS als auch ung�nstige FAI vorlagen, 90 Prozent! Wenn zwar TLS, aber g�nstige FAI vorlagen, war die Wahrscheinlichkeit 38 Prozent, wenn nur ung�nstige FAI, aber keine TLS vorlagen, 50 Prozent.
Der Umweltfaktor FAI zeigte sich also als st�rker als der Anlagefaktor TLS.
Bei der 2. Untersuchung derselben Kinder mit 13 Jahren zeigte eine querschnittliche Betrachtung, dass mit 8 Jahren bestandene ausschlie�liche TLS bei g�nstigem FAI ihren Vohersagewert verloren hatten, w�hrend der Wert widriger famili�rer Bedingungen erhalten geblieben war. Das bedeutet also, dass Teilleistungsst�rungen nur im Zusammenhang mit widrigen famili�ren Bedingungen einen Effekt hatten.
Literatur:
H. Bonney (2000): Neues vom "Zappelphilipp" - Die Therapie bei Kindern mit hyperkinetischen St�rungen (ADHD) auf der Basis von Kommunikations- und Systemtheorie. Prax Kinderpsychol Kinderpsychiat 49, 285-299
H. Bonney (2001): Systemische Therapie bei ADHD-Konstellationen. In: Rotthaus, W. (Hg.) Systemische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie. Heidelberg: Carl-Auer-Systeme, 386-404
M. D�pfner et. al. (2000): Hyperkinetische St�rungen. Hogrefe
M. D�pfner: Pers�nliche Mitteilung, 2001
G. Esser, M.H. Schmidt: Epidemiologie und Verlauf kinderpsychiatrischer St�rungen im Schulalter - Ergebnisse einer L�ngsschnittstudie. Nervenheilkunde 1987, 6, 27-35.
G. H�ther u. E. R�ther: Das serotonerge System. Uni-Med-Verlag 2000
G. H�ther: Kritische Anmerkungen zu den bei ADHD-Kindern beobachteten neurobiologischen Ver�nderungen und den vermuteten Wirkungen von Psychostimulantien (Ritalin). Analyt. Kinder- u. Jgdl.-Psychotherapie 114, 4/2001
G. H�ther u. H. Bonney: Neues vom Zappelphilipp. Walter 2002
D. Krowatschek: Alles �ber ADS. Walter 2001.
J. C. R�egg: Psychosomatik, Psychotherapie und Gehirn: Neuronale Plastizit�t als Grundlage einer biopsychosozialen Medizin
Schattauer 2001
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Re: Paradigma-Wechsel oder: Der Storch bringt keine Kinder (Punkte: 1) von GerdGerbig am 02.07.2002 (Userinfo | Artikel schicken) | Die Argumentation scheint stimmig und ich mu� leider sagen ich komme nicht so ganz mit.
Ist ein Thesenstreit, den die Medikamentenbef�hrworter Seite ja zuerst gerne f�hrt, mit Beweisf�hrung eigentlich sinnvoll??
Das Problem der wissenschaftlichen Auseinadersetzungen und Beweisf�hrungen ist doch meistens,
dass sich doch auch Argumente, die f�r den Storch sprechen, finden lassen. Argumente f�r und gegen Ozonloch und Atomkraft, IVF, praenatale Diagnostig, Stammzellen, etc.
Ich frage mich nur, darf es sein, dass in rasantem Ausma� Kids Tabletten nehmen sollen, damit die Anforderer und Beurteiler in unserer "Umgebung" mit ihnen klarkommen? Damit die Kinder �berhaupt klarkommen k�nnen??
Das hat zunehmend nicht mehr die Dimension einer medizinisch- wissenschaftlichen Problematik.
Wer nicht "funktioniert" hat Krankheitswert. Naja, das weitaus G�nstigere sind halt die chemischen
Helfer. Da verlaufen "ALte" Anschauungen von wegen Hilfstellungene zur Entwicklung. Sind die �berholt??
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