Die Referenten und ihre Vorträge
Was wir unseren Kindern schuldig sind Anregungen f�r eine zukunftsorientierte Bildungspolitik
Vor drei Jahren stie� ich zuf�llig in einer au�ergew�hnlichen Region
(Darjeeling, Indien), in einer besonderen Institution (Himalayan Mountaineering Institute,
Mount Everest Museum) auf ein zum Nachdenken anregendes Dokument, von dem aus ich meine
Ausf�hrungen beginnen m�chte. Dort, wo all die Schlafs�cke, Sauerstoffger�te, die Eisbickel
und Kompasse ausgestellt sind, die bei den Erstbesteigungen des h�chsten Berges dieser Erde,
des Mount Everest, eine Rolle gespielt haben, dort fand sich auch eine Wandtafel, eher
unauff�llig, die �berschrieben war mit �33 PERSONAL QUALITIES NEEDED FOR DEVELOPMENT OF A CHILD�.
In Anlehnung an dieses Dokument l�sst sich, frei �bersetzt, sagen, dass es f�r die Entwicklung von
Kindern und Jugendlichen zu eigenst�ndigen und sozial verantwortlichen Pers�nlichkeiten f�rderlich
ist,
- wenn sie sich selbst entdecken und sich selbst verwirklichen k�nnen;
- wenn sie Verantwortung �bernehmen und den Nutzen von Disziplin erfahren k�nnen;
- wenn sie Selbstbewusstsein entwickeln und Einsatzbereitschaft zeigen k�nnen;
- wenn sie aufrichtig leben, sich bescheiden erweisen und sich in harter Arbeit erproben k�nnen;
- wenn sie eigenen Initiativen folgen, die nat�rlichen Lebensgrundlagen sch�tzen
und sich zugeh�rig f�hlen k�nnen;
- wenn sie zu Entschlusskraft herausgefordert werden, wenn sie die notwendige Anpassungsf�higkeit beweisen
und wenn sie schwierigen Aufgaben Aufmerk-samkeit widmen k�nnen;
- wenn sie sich begeistern und mit kreativem Weitblick �berraschen k�nnen;
- wenn sie scharfsinnig denken, Zeit bewusst einteilen und Rechenschaft ablegen k�nnen;
- wenn sie den Sinn in ihrer Arbeit erkennen und wenn sie Entschl�sse fassen k�nnen;
- wenn sie Werte achten und den �common sense� verstehen k�nnen;
- wenn sie ein Gesp�r f�r Sprache, Mathematik, Naturwissenschaften, Geografie und
Geschichte entfalten k�nnen;
- wenn sie sich in ihrer K�rperkraft messen und ihre geistige Wachheit trainieren k�nnen;
- wenn sie ihrer Lust nach Abenteuern nachgeben und nachgehen k�nnen, wenn sie sich
in Zusammenarbeit �ben und wenn sie sich auf ihr Selbst verlassen k�nnen;
- wenn sie die eigene Nation verstehen und wenn sie internationales Bewusstsein
ausbilden k�nnen.
Mit Respekt vor dem Originaltext - der Blick schweift von diesem Original auf die faszinierende
Bergkette der Achttausender in ewigem Schnee und Eis - will ich nichts anf�gen, nichts relativieren,
nichts kritisieren. Was hier gesagt ist, macht schon hohen Sinn. Wer freilich etwas vermisst, der
m�ge frei sich f�hlen, dies auf seine Agenda noch zus�tzlich zu setzen. Wer aber etwas streichen
will, der m�ge - vor dem Streichen - dies erst einmal genau begr�nden ...
Wenn wir - cum sano gralis - es (auch) unseren Kindern und Jugendlichen schuldig sind, ihnen solche
Erfahrungen als Grundlage und Ziel ihres Wachsens zu erschlie�en, was sind dann unsere Aufgaben
zuv�rderst in P�dagogik und Politik, in den Familien, in den Bildungseinrichtungen, im Gemeinwesen -
gleich, ob in der N�he oder auf dem Globus?
- Kinder brauchen verl�ssliche Erwachsene.
Verl��liche Erwachsene von klein auf: in der Familie, in der Nachbarschaft, in der Schule. Die
Erwachsenen werden nur verl�sslich sein k�nnen, wenn sie sich Zeit f�r Kinder leisten k�nnen und
wollen und wenn notwendigste materielle Sicherheiten gew�hrleistet sind. Eine st�ndige
Arbeits�berlastung f�r einen Teil der Er-wachsenen ist der Verl�sslichkeit f�r Kinder genauso
abtr�glich wie die Verweigerung sinnvoller Arbeit f�r einen anderen Teil der Erwachsenen.
- Kinder brauchen andere Kinder.
Der Kindergarten f�r alle und die verl�ssliche (Ganztags-)Schule ist nicht der
arbeitenden Eltern wegen da. Dazu ist beides auch n�tzlich. Der wichtigere Sinn
speist sich aber aus den Begegnungsm�glichkeiten mit der Vielfalt anderer Kinder,
gro�en und kleinen, Kindern aus vielen Kulturen, aus unterschiedlichen sozialen Herk�nften.
- Kinder brauchen anregungsreiche, gestaltbare Orte.
Der Entfaltungsdrang von Kindern und Jugendlichen wird gehemmt, behindert, er verk�mmert,
wird abget�tet, wenn alles immer schon vorentschieden ist, wenn es nicht m�glich ist, eigene
Spuren zu hinterlassen, oder wenn die Lebenswelt einfach nur �de ist. Apathische Reaktionen
sind dann genauso wahrscheinlich wie der Apathie andere Seite, die Aggression.
- Kinder brauchen ernsthafte Aufgaben.
Nur wer die Erfahrung macht, dass sie und er gebraucht werden, wird sich und will sich
einbringen, wird Verantwortung �bernehmen. Die richtig dosierte ZuMUTung von SINN-VOLLEM
ist die f�rderlichste Art der Zuwendung, aus der auch die Zuwendung zu anderen dann wieder
erw�chst. Ernsthafte Aufgaben m�ssen keine Qual sein. Ernsthafte Aufgaben lassen sich auch
heiter anpacken. Wer das Lob der Anstrengung singt, der wisse - mit Erich Fromm: �Wenn aber
das Leben keine Vision hat, kein Motiv, wof�r man leben m�chte, dann gibt es auch keinen
Grund sich anzustrengen.�
Mit anderen Worten:
Das Beste, wozu wir Kindern verhelfen k�nnen, ist,
dass sie sowohl Wurzeln wie Fl�gel ausbilden.
Informationen �ber den Autor
Otto Herz
P�dagoge und Diplom-Psychologe
Im Buchenwalde 2
D-33617 Bielefeld
0172 / 65 234 67
Geboren am 21. M�rz 1944 in Weinheim/Bergstr. als zweiter Sohn des Maurers Otto Herz und der
Hausfrau Hedwig Herz, geb. Walther
Grundschule, f�nf Jahre Gymnasium, 2 Jahre H�here Handelsschule; Beginn einer Lehre als
Industriekaufmann bei der Fa. Carl Freudenberg, Weinheim/Bergstr.
Besuch der Odenwaldschule, Ober Hambach, als Stipendiat der Heiner- und Walter-Freudenberg
Stiftung, Abitur 1965
Beginn des Studiums der Psychologie, der Erziehungswissenschaften, der Philosophie und etwas
Theologie an der Universit�t Hamburg
1966 Beauftragter des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) f�r die Aktion Bildungswerbung
�Student in die Betriebe�; 1967/68 stv. Vorsitzender des verbands deutscher studentenschaften
(vds) in Bonn f�r den Bereich Bildungsfragen
Fortsetzung und Abschlu� des Studiums in Psychologie/Erziehungswissenschaften an der Universit�t
Konstanz
1970 - 1980 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universit�t Bielefeld in der Fakult�t P�dagogik,
Philosophie, Psychologie und beteiligt beim Auf- und Ausbau der von Prof. Dr. Hartmut von Hentig
initiierten Versuchsschulen des Landes Nordrhein-Westfalen an der Universit�t Bielefeld, Laborschule
und Oberstufen-Kolleg
1980 - 1982 Bundesvorsitzender der Gemeinn�tzigen Gesellschaft Gesamtschule (GGG)
1981 - 1984 Oberleiter der Stiftung Deutsche Landerziehungsheime, Hermann Lietz-Schule,
mit ihren Heimen auf Bieberstein, Buchenau, Hohenwehrda, Spiekeroog
1985 - 1986 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut f�r Interkulturelle Erziehung und
Bildung der Freien Universit�t Berlin
1987 - 1993 Mitarbeiter im Landesinstitut f�r Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen
in Soest f�r das Projekt �Gestaltung des Schullebens und �ffnung von Schule� (G�S); Leiter der
Arbeitsstelle �Praktisches Lernen� an der Universit�t Dortmund; Gesch�ftsf�hrer des Vereins zur
F�rderung von Community Education in der Bundesrepublik Deuschland, COMED e. V.
1993 - 1997 Mitglied des Bundesvorstands der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW),
Frankfurt/Main, zust�ndig f�r den Bereich Schule
1997 - 1998 Sabbatjahr mit Aufenthalt in Calcutta/Indien, in irischen Internaten u. a.
seit 1999 freiberuflich t�tig
Lehrauftr�ge an den Universit�ten Bielefeld, Berlin, Detmold (Musikhochschule), Dresden,
Dortmund, Essen, Frankfurt/Main (Akademie der Arbeit), Kassel, Leipzig, Marburg.
Ver�ffentlichungen
Zahlreiche Ver�ffentlichungen, u.a.:
- Auf dem Weg zu einem erweiterten Schulverst�ndnis. In: Arbeit & Kultur. Hrsg.: G. K�hler, N.
Winkler. Freiburg 1989, S. 349-368.
- Das Gymnasium als gute Schule. In: Marotzki/Meyer/Wenzel (Hrsg.), Erziehungswissenschaft f�r
Gymnasiallehrer. Weinheim 1996, S. 369-380.
- Zukunft f. Kinder. Bundesgrundschulkonferenz 1995 in Berlin. Berlin 1996, 294 Seiten. Hrsg.
zusammen mit dem AKG, VBE f�r die GEW.
- �Und wurde die Liebe gelehrt?� Gewalt unter Jugendlichen - mittlerweise ein Muss f�r jede Schule?
IN: R. Engelmann (Hrsg.) Tatort Klassenzimmer, W�rzburg 2000 (6. Aufl.), S. 40-56.
- �Wer gegen Noten ist, ist nicht gegen Anstrengung�. Eine Replik auf die Rede von
Bundespr�sident Roman Herzog zur Bildungspolitik. Frankfurter Rundschau, 22. Nov. 1997.
- Anstiftung zur Zivilcourage. Preis f�r Zivilcourage in jeder Schule. Allgemeine LehrerZeitung 2/98.
- Im Leben lernen. Anst��e zu entlastenden Innovationen. In: Netzwerke f�r die Schule f�rs Leben.
St�dtenetzwerk NRW, Unna 1999, S. 2-9.
- Lernziele f�r ein zukunftsf�higes Leben. Plakat. Lernende Schule, 2000.
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