karlgebauer schreibt: "„Machen wir doch einen Basar auf“
Die Entwicklungspsychologie betont seit vielen Jahren nachdrücklich, dass die Grundlagen für späteres Lernen in den ersten Lebensjahren gelegt werden. Irgendwie schien diese Erkenntnis in den modernen Erziehungsprozessen in den Hintergrund gerückt zu sein.
Erfreulicherweise ist seit einiger Zeit bei einem Teil der Bevölkerung ein wachsendes Interesse an den hochinteressanten Ergebnissen der Säuglings- Bindungs- und Hirnforschung zu entdecken. Es scheint sich eine alte Erkenntnis, dass emotionales, kognitives und motorisches Lernen in einem engen Zusammenhang stehen, wieder mehr und mehr durchzusetzen. Nachdenkliche Menschen ahnen, dass populistische Aktionen von Bildungspolitkern keine angemessene Reaktion auf die Ergebnisse der PISA- und der Shell-Jugend-Studie sind.
Was ist in einer solchen Situation zu tun?
Ein interessanter Vorschlag des Hamburger Journalisten Reinhard Kahl
lautet:
Machen wir doch einen Basar auf!
„Der 4. Dezember, Tag der Pisa Veröffentlichung, wird als schwarzer Tag in die Geschichte der deutschen Schule eingehen. Sowohl die Wirksamkeit wie die Kultur der Schule sind in Frage gestellt. Diese Doppelniederlage könnte sich als Ausgangspunkt der Erneuerung erweisen. (...) Erfolgreiche Länder wie Kanada und die Skandinavier haben es riskiert, Angst aus dem System zu nehmen und Vertrauen zu investieren. Man glaubt schlicht daran, dass Menschen lernen wollen.
Eine große Denkschrift in Kanada hieß „For the Love of Learning“. Bei aller notwendigen und kompromisslosen Kritik, die nötig ist, wir müssen auch an einer positiven Denkschrift arbeiten. Besser als eine Denkschrift wären viele selbst geschriebene Denkzettel für diese Mentalitätsänderung. Machen wir dafür doch einen Basar auf.“ Dafür braucht es nach Reinhard Kahl „erwachsen gewordenen Erwachsene“ (Gebauer/Hüther: Kinder suchen Orientierung, S.168.)
Verhalten wir uns doch als Lehrer / Lehrerin, Erzieherin oder Sozialpädagogin erwachsen, d.h. verhalten wir uns doch autonom und kompetent in Erziehungs- und Bildungsfragen.
Bleiben wir äußerst kritisch gegenüber den über dieses Land rollenden Qualitätsüberprüfungen in Kindertagesstätten und den externen Evaluationsverfahren. Das ist etwas radikal anderes als das, was die eben genannten Länder vor 25 Jahren begonnen haben. Sie hatten und haben die individuelle Entwicklung der Kinder im Auge; sie haben die oft schwierigen Gruppenprozesse im Blick; sie wissen, dass Lernen nur gelingen kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die Relation von Erziehern zu Kindern muss stimmen. Auch das innere, das emotionale Beziehungsgefüge sollte stimmen. Ihr Anspruch: Jedem Kind soll eine Basis für erfolgreiches Lernen ermöglicht werden.
Bei uns heißt das:
Wer die deutsche Sprache bei Schuleintritt nicht beherrscht, der hat ein Sprachtraining zu absolvieren; stellen sich Erfolge nicht ein, wird das Kind für ein Jahr zurückgestellt.
Großes Erschrecken - sogar Schock – geistert durch die Reden der politisch verantwortlichen Personen angesichts der Zahlen, die in unterschiedlichen Studien ans Licht kommen. Als ob sie das nicht schon seit 20 Jahren hätten wissen können. Die Katastrophe kommt nicht aus heiterem Himmel. Bezeichnet Amnesie den Sachverhalt?
So lange die bildungspolitisch verantwortliche Elite in diesem Land nicht bereit ist, ihr eigenes Versagen an dem Desaster wahrzunehmen, ist auch von ihr kein Neuanfang zu erwarten. Sie ist aufs äußerste verunsichert und versucht diese Unsicherheit durch verstärkte Aktivitäten zu überspielen; vielleicht liegt aber auch – und das würde schwerer wiegen - ein Desinteresse an der nachwachsenden Generation vor.
Entgegen anderslautender Beteuerungen, ist zu befürchten, dass die Hyperaktivitäten der gegenwärtig verantwortlichen Politikergeneration zu einer verstärkten Selektion führen werden. Die deutschen Schüler sollen siegen, sie sollen ganz oben auf dem Treppchen stehen.
Machen wir doch einen Basar auf. Die Autonomie der Kindertagestätten beginnt nicht bei der Sozialdezernentin und die Autonomie der Schule beginnt nicht bei der Kultusministerin. Das legt der Begriff Autonomie schon nahe. Und der hat ja in der gegenwärtigen Debatte oberste Priorität. Entwickeln wir vor dem Hintergrund geltender Gesetze eine Kindergarten und Schulkonzeption mit eigenem Profil.
Es ist an uns, die wir in verschiedenen Institutionen mit Kindern arbeiten - in Tagesstätten, Schulen, Beratungsstellen, in Krankenhäusern oder privaten Arztpraxen – ob wir und da sind vor allem auch die Eltern gemeint, einen neuen Zugang zu Erziehungs- und Bildungsaufgaben finden.
Wir wünschen uns, dass dieses Netzwerk als Basar genutzt wird.
Wir wünschen uns viele Berichte über Innovationen im Kindertagesstätten und Schulbereich.
Wir wünschen uns kurze Darstellungen mit Hinweisen, an welcher Stelle weitere Informationen eingeholt werden können.
Dabei fänden wir es besonders interessant, wenn aus einer gewissen Distanz das jeweilige Projekt beschrieben würde. Erfahrungsgemäß haben Modelle auch Momente des Scheiterns. Auch über sie wäre zu berichten. Vor allem aber möchten wir erfahren, welche Kommunikations- und Interaktionsprozesse stattgefunden haben. Erst wenn Kollegien ihr emotionales und soziales Gefüge in den Blick nehmen, wird es interessante Zukunftsprojekte geben. Wo dies nicht geschieht, wird es bei kurzfristigen Erfolgen bleiben.
Wir streben eine Form der Kommunikation und Vernetzung an, die – wenn wir Glück haben – wieder Lebendigkeit in die Debatten um Erziehung und Bildung bringen könnte.
Im Forum „Machen wir doch einen Basar auf“, können die Projekte diskutiert werden.
Karl Gebauer
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